Wie jede Woche sitze ich nach einer Bouldersession im Zenit noch gemütlich mit Freunden zusammen. Die Gespräche drehen sich wie so oft, um die Schwierigkeit der Routen, die Blessuren, die man davongetragen hat und welche Projekte als nächstes anstehen.
Doch dann erzählt jemand von seinem letzten Trip nach Bleau und es wird ganz still. Alle hören sich gespannt die Ausführungen an. Jeder fiebert mit bei der detailgenauen Beschreibung der verschiedenen Routen. Von den leidenschaftlichen Erzählungen bin ich so fasziniert, dass ich am liebsten gleich losfahren würde.
Fontainebleau, das Mekka der Boulderer, lese ich später am Abend als ich wieder zu Hause bin, in einem Klettermagazin.
Draußen Bouldern wollte ich schon immer mal. Aber gleich nach Frankreich fahren ist nicht drin. Außerdem habe ich null Erfahrung und keine Lust drei Stunden durch den Wald zu laufen und keine passenden Routen für mich zu finden. Das muss auch anders gehen.
Ich beschließe also, mir einen Profi zu suchen, der mich in die Geheimnisse des Outdoor-Boulderns einweiht.
Schnell etwas gegoogelt, ein paar Freunde überredet mitzukommen und auf geht es in den nur 370 km weit entfernten Odenwald. Ziel ist das Felsenmeer gleich hinter Darmstadt. Das Felsenmeer im Odenwald hat eine Schwierigkeitsstufe von Fb.-Skala 2a bis 7c+, so steht es im Boulderführer Bouldern Odenwald. Also sollte auch für mich etwas dabei sein. Anlaufpunkt ist in Bensheim die High Moves Kletterhalle von Sascha Jung. Er betreibt die Halle seit zehn Jahren und hat den Boulderführer nicht nur herausgebracht, sondern auch einen Großteil des Gebiets erschlossen und kennt jeden Winkel.
Als wir in der Halle ankommen, begrüßt Sascha uns ganz locker, beantwortet entspannt unsere Fragen und zerstreut meine Bedenken als unerfahrene Outdoor-Boulderin. Nach dem üblichen Papierkram verabreden wir uns für morgen halb zehn, ausgeschlafen und mit einem guten Frühstück gestärkt.
Wir Verbringen den Tag noch entspannt mit etwas Sightseeing in Bensheim, historische Altstadt, Weinberge mit super Ausblick und leckeren Hauswein. Wir gönnen uns natürlich auch ein Glas, gehen dann aber früh schlafen, da morgen ein anstrengender Tag vor uns liegt.
Am nächsten Morgen erwache ich ausgeschlafen und gut gelaunt. Das Wetter ist traumhaft. Sonne und sehr mild. Ich packe lieber die Sonnenbrille statt der dicken Jacke ein.
Nach dem gemeinsamen Frühstück treffen wir Sascha und fahren dann ca. 20 Minuten, bis wir am Felsenmeer ankommen. Der Parkplatz ist super gelegen. Wir nehmen die Crashpads, Schuhe und Verpflegung (gefühlt für drei Tage) und gehen etwa fünf Minuten bis wir ihn sehen, unseren ersten Felsblock.
Platte, leicht von uns abgewinkelt, mit einem schönen langen Riss, der sich allerdings in 2,20 Meter befindet. Tritte sehe ich nicht und auch die anderen sehen nicht sehr zuversichtlich aus. Ich denke mir, das kann ja was werden, aber keine Panik - geht schon!
Bevor es allerdings losgeht, erklärt Sascha uns noch einige Sicherheitsvorkehrung. Wie liegen die Pads richtig? Richtiges Spotten? Wo ist der Ausstieg und welchen Ankergriff kann ich verwenden?
Insgesamt fühle ich mich nach ca. 30 Minuten Einführung gut vorbereitet. Also los!
Mein erster Kontakt zum Fels/Granit sieht sehr unbeholfen aus und fühlt sich auch so an. Ich habe das Gefühl, als wenn ich noch nie im Leben gebouldert hätte. Meine Füße finden keinen einzigen Tritt und an den Riss komme ich beim besten Willen nicht dran. Ich beneide die beiden anderen um ihre Körpergröße und denke mir, da nützt mir auch mein Affenindex von +4 nichts. Es ist mir etwas unangenehm, dass ich gleich an der ersten Wand so scheitere. Sascha bemerkt natürlich, dass ich so meine Schwierigkeiten habe und gibt mir ein paar Tipps, in dem er mir mögliche Tritte zeigt. Ich hätte die noch nicht mal mit der Lupe gesehen, aber egal. Und siehe da, prompt habe auch ich meine ersten Erfolge, kann mich an dem Riss halten und ein bisschen entlang gehen.
Das soll fürs Erste reichen. Wir packen unsere sieben Sachen und gehen vier Felsen weiter zum nächsten Problem: wieder ein Platte mit Riss. Hier stelle ich mich bedeuten besser an und werde so langsam warm mit dem Granit.
Sascha leistet super Hilfestellung beim Projektieren und selbst bei Problemen im Überhang habe ich keine Sorge in die Crashpads zu fallen.
Er sagt, dass es besonders auf die Fußtechnik ankommt und ich merke, dass Körperspannung wohl mein Schwachpunkt ist. Während er sich locker mit einem Fuß und einer Hand, den Körper schön gespannt am Fels hält, sehe ich in dieser Position eher wie ein alter Kartoffelsack aus. Wir haben zwar extra unseren eigenen Fotografen für dieses Erlebnis mitgeschlürt, aber ich bezweifle, dass Photoshop das irgendwie hinbekommt.
Wir wechseln noch einmal die Felsen, gehen ungefähr fünf Minuten weiter in den Wald und erreichen unsere letzte Station. Hier finden sich Routen im Bereich Fb 4+/6a+.
Das nächste Problem ist im Überhang eine 6a und schon eine Herausforderung.
Nach vier Stunden merke ich so langsam meine Finger und nach drei Versuchen brauche ich erstmal einen Powerriegel. Die Sonne hat in der Zwischenzeit dafür gesorgt, dass die Temperaturen auf 22 Grad angestiegen sind und selbst hier im Wald kommt man jetzt ganz schön ins Schwitzen. Wir halten aber durch und meistern auch dieses Problem. Sascha ist erstaunt, dass wir als reine Hallen-Boulderer so viel Ausdauer haben und das macht uns natürlich auch ein bisschen stolz.
Irgendwann ist die Luft aber raus und nach dem obligatorischen Gruppenfoto beschließen wir, dass es Zeit wird für ein erfrischendes Getränk.
Wir sammeln unsere verstreuten Sachen ein und fahren auf Saschas Empfehlung in einen netten Biergarten, um den Tag ausklingen zu lassen. Wir sitzen noch einige Zeit zusammen und fachsimpeln bis wir schließlich gegen 18:00 Uhr in unser Hotel zurückfahren. Ich will nur noch duschen, essen und dann ins Bett, so geschafft bin ich. Nach einer heißen Dusche gehen wir noch in ein nettes Lokal, um den Abend bei einem deftigen Essen und reichlich Flüssigkeit zu beenden. Am nächsten Tag machen wir uns früh wieder auf den Weg und verlassen das Bouldergebiet Odenwald. Im Auto riecht es nach einem Gemisch aus Füßen, Handcreme und Gummibärchen. Meine Hände tun weh, aber mein Wunsch bald wiederzukommen ist geweckt.